Von: ct
01.11.2018

Exponat des Monats November 2018

DER SPIEGEL, Ausgabe 19/1955 vom 4. Mai 1955


„Stattlich und groß“, „unerschrocken und kampfeslustig“: Schon zu Frankfurter Zeiten waren Ernst Mays markante äußere Erscheinung sowie sein energisches Wesen zentrale Motive der Berichterstattung über ihn. Als Dezernent für Städtebau vertrat May in den Jahren zwischen 1925 und 1930 seine Standpunkte auf selbstbewusste Art und Weise. Es verwundert nicht, dass auch nach dem Zweiten Weltkrieg bundesrepublikanische Medien ihre Artikel über May gerne mit Bemerkungen über Physiognomie und Körperbau ausschmückten.

Mays erste Station in Deutschland nach seiner Rückkehr aus Afrika war Hamburg, wo er ab dem 1. Januar 1954 als Leiter der Planungsabteilung der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ tätig war. Nach etwas über einem Jahr des Wirkens in der Hansestadt widmete das Hamburger Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 4. Mai 1955 dem „Plan-Athleten“ eine ausführliche Titelstory.

Ausgehend von den Bestandsaufnahmen im weiterhin nur notdürftig wiederaufgebauten Stadtteil Altona beleuchtete der Artikel biographisch weit ausgreifend Mays Karriere, seine theoretischen Prinzipien und die Ausführung seiner Entwürfe. So wurden die Leser*innen nicht nur auf die eindrucksvolle Geschichte des „Neuen Frankfurt“ aufmerksam gemacht, sondern auch über Mays Idee der „Nachbarschaft“ informiert: übersichtliche urbane Einheiten, die einerseits ein „Heimatgefühl“ vermitteln und andererseits mit allem ausgestattet sind, was der Mensch zum Leben braucht. Als Städteplaner stieß May auf vielgestaltige Herausforderungen. Ein immer wieder von ihm beklagtes Problem waren die einengenden Vorschriften sowie eine Bürokratie und Gesetzgebung, die oft nur auf lokale oder partikular-ökonomische Interessen ausgerichtet war. Diese standen in Mays Augen der Realisierung großräumig angelegter Wiederaufbaupläne nach 1945 entgegen. Die in hart ausgehandelten Kompromissen erreichten Ergebnisse seien in den meisten Fällen nicht mehr als „Flickschusterei und Zahnlückenfüllung“.  War er im SPIEGEL 1955 noch als „menschlicher Bulldozer“ und „Wundermann aus Afrika“ tituliert worden, gab er acht Jahre später in einem Interview mit dem SPIEGEL (Ausgabe 52/1963) zu Protokoll, dass er nach dem Krieg keinen einzigen seiner Entwürfe ohne Abstriche habe umsetzen können. Resignation ließ er trotzdem nicht aufkommen. Die Aufgabe des Architekten müsse immer darin bestehen, „aus einer Situation das Bestmögliche zu machen.“ Text: Dr. Mircea Ogrin