14.03.2014

Sonderausstellung Mai-Juli 2014

Magnitogorsk
Alte und neue Ansichten einer May-Stadt am Ural


Die Gründung der Stahlstadt Magnitogorsk war eines der Leitprojekte des Ersten Fünfjahrplanes der frühen Sowjetunion. Um die Frage, wie die nach dem Stahlwerk zu errichtende Wohnstadt aussehen solle, entspann sich eine der grundlegenden urbanistischen Debatten der Zeit: die Konzeption einer sozialistischen Stadt- und Lebensform.

Wohnzeile
Foto Arlett Mattescheck

Der städtebauliche Wettbewerb 1929/30, der die Sozgorod-Idee an Magnitogorsk exemplifizierte, ist heute legendär. Vor Ort aber blieben die Beiträge weitgehend folgenlos. Ende 1930 bekam die in Moskau tätige Gruppe um den ehemaligen Frankfurter Stadtbaurat Ernst May den Generalplan und die Ausführung anvertraut, dessen visionäres Projekt „Das Neue Frankfurt“ auch den Fachleuten in der Sowjetunion ein Begriff war. Die meisten Hochbauten des ersten und teilweise auch die des zweiten Wohnkomplexes wurden nach ihren Entwürfen errichtet und sind erhalten geblieben.

Schule von Wilhelm Schütte (1931/32)
Foto Arlett Mattescheck

Heute erfährt das Stadtfragment wenig allgemeine Wertschätzung. Es teilt damit das Schicksal vieler russischer Avantgarde-Bauzeugnisse  und entsprechend verwahrlost stellt sich der Wohnkomplex dar. Instandhaltung sowie Sanierung bleiben aus und Abbrüche einzelner Bauten zerklüften zunehmend das geschichtsträchtige Siedlungsensemble. Im August 2012 hat eine Forschergruppe der Bauhaus-Universität Weimar zusammen mit Uraler Kollegen nicht nur Ansätze für eine denkmalverträgliche Fortschreibung und dauerhafte Erhaltung entwickelt, sondern den Gebäudebestand auch notwendigerweise bauhistoriografisch untersucht. Es gelang das ganze Ausmaß der Realisierungen der Gruppe May zu ermitteln und die Bauten einzelnen Architekten zuzuordnen . So konnten bisher unbekannte Gebäude unter anderem von Grete Schütte-Lihotzky, Mart Stam und Johann Niegemann dokumentiert werden.

Bewohner im typischen Treppenhaus der Wohnbauten
Foto Arlett Mattescheck

Trotz der von westlichen und russischen Fachkreisen attestierten international herausragenden städtebaugeschichtlichen Bedeutung ist eine Bewahrung des Wohnkomplexes offensichtlich nicht möglich. BürgerschaftIiches Engagement beschränkt sich auf wenige Experten. Öffentliche Stellen in Russland fühlen sich wenig verantwortlich. Ein Schutz als städtebauliches Denkmal wird bis heute verwehrt.

Letzte Inventur Sozgorod
Alte und neue Fotografien aus Magintogorsk

Piktogramm aus Flyer
Dr. Mark Escherich
Bauhaus-Universität Weimar

Unter dem Motto Letzte Inventur Sozgorod stellt die Ausstellung Fotografien aus der Erbauungszeit der Sozgorod aktuellen Aufnahmen gegenüber. Die festgehaltenen Zeitschichten sprechen von Verfall, aber auch von lebensnaher Aneignung dieser Architektur und erinnern so an die Kühnheit des damaligen Projektes, die westeuropäische Moderne in den Ural zu transformieren.

Dr. Mark Escherich, Professur Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität Weimar
Historische Fotografien: Canadian Centre for Architecture Montreal