01.07.2019

Exponat des Monats Juli 2019

Die Aluminium-Schütten in der Frankfurter Küche


Die Schütten sind heute das Sinnbild der Frankfurter Küche und werden gerne als eine Erfindung der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky bezeichnet. Tatsächlich aber sind die Schütten etwa ein Jahr vor der legendären Einbauküche entwickelt worden, und zwar von dem Ehepaar Anni (1892-1987) und Otto Haarer (1892-1985).

Die Haarers hatten sich ihre Erfindung sogar patentieren lassen. Der Maschinenbauer Otto Haarer hatte 1921 mit seinem Bruder Richard (1894-1944), der Kaufmann war, in Frankfurt die Firma „Original Haarer“ gegründet. Bereits ein Jahr nach der Gründung bezog die Firma ihren neuen Sitz in der Lamboystraße in Hanau und vertrieb von dort aus die von ihnen entwickelte „wirtschaftliche Küche“. Zudem produzierten sie dort Reformküchenmöbel wie Tellerabtropfgestelle, Bügelbretter und die berühmten Schütten. 1926, als die Firma trotz ihrer genialen Erfindungen Insolvenz anmelden musste, knüpften die Haarers auf der Ausstellung des landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins in Hanau den Kontakt mit Ernst May. In den folgenden Jahren kam es zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit May und Schütte-Lihotzky – die Firma Haarer lieferte die Schütten für über 10.000 Frankfurter Küchen! Doch der Erfolg hielt nicht lange an. Die Weltwirtschaftskrise beutelte das Unternehmen so sehr, dass die Brüder Haarer 1929 zum zweiten Mal insolvent wurden. Ihr Unternehmen wurde von der Hanauer Maschinen- und Apparatebaufirma Emil Möhn übernommen und produzierte die Küchenelemente weiter. Dort arbeitete Otto Haarer fortan als Angestellter.

Schütte

Foto: Christina Treutlein

Die Schütte gibt es in verschiedenen Ausführungen: Das einfachste Modell hat einen schmalen Henkel aus gebogenem Rohr und weder eine Beschriftung noch eine Firmenbezeichnung. Die Schütten mit breiterem Griff, der aus einem zum Oval gebogenen Blech besteht, das wiederum in die beinahe halbrunde Form des Henkels gebracht wurde, tragen die Firmenbezeichnung „Gebrüder Haarer, Frankfurt A M, DRP A, DRG M“. Die Abkürzungen weisen auf das Patent hin, DRP A  steht für „Deutsches Reichspatent angemeldet“, bzw. auf den „kleinen Bruder“ des Patents, das Gebrauchsmuster (DRG M: Deutsches Reich Gebrauchsmuster).


Schütte, Detail (Foto: Chistina Treutlein)

Die Schütten aus den Frankfurter Küchen tragen die Ortsbezeichnung „Frankfurt“. Es gibt jedoch auch Schütten mit der Prägung „Original Haarer, Hanau a. M.“. Sie stammen vermutlich aus den Haarer-Küchen und wurden zur Unterscheidung von den Frankfurter Küchen gesondert gekennzeichnet. Da die Schütten in Schubladenfächer geschoben wurden, so dass die darin aufbewahrten Vorräte geschützt und deshalb nicht sichtbar waren, wurde auf die Schüttenfront eine Vertiefung für das Beschriftungsschild geprägt und mit zwei winzigen Schrauben zur Befestigung geliefert. Auf anderen Modellen wiederum war der Schriftzug des darin aufbewahrten Lebensmittels schon in serifenlosen Versalien vorgeprägt. Die Vielfalt der Beschriftung ist groß, es gibt Schütten für Bohnen, Erbsen, Gerste, Graupen, Gries, Grünkern, Haferflocken, Kartoffelmehl, Linsen, Maccaroni, Paniermehl, Reis, Suppenteig, Würfelzucker, Zucker und vieles mehr.Auf den ersten Blick erscheint die Form der Schütte recht simpel, doch die geniale Idee, die Funktion einer Kanne mit der einer Schublade zu kombinieren, wurde von Anni und Otto Haarer bis ins Detail durchdacht. Zunächst war das Material, nämlich Aluminium, eine Neuheit in den Küchen. Man verband dieses moderne, leichte und unzerbrechliche Material mit den fortschrittlichen Flugzeugen. Nun wurde es Alltagsgegenstand in der Küche! Genial ist auch die Form des Griffes: Er hat die Form eines gewöhnlichen Henkels, wie man ihn beispielsweise von Kaffeekannen kennt. Doch wurde er hier falsch herum angebracht, wodurch man das Handgelenk beim Schütten nicht unergonomisch abknicken muss. Der Steg an der schmaler werdenden Schnauze verhindert, dass der Inhalt in einer unkontrolliert großen Menge auf einmal herausrieselt und die vertiefte Öffnung ermöglicht grammgenaues Dosieren. Die Schütte sollte ein Massenprodukt werden, das Maschinen schnell, einfach und kosten-günstig fertigen konnten. Deshalb bestehen sie aus nur drei Bauteilen, die aus dem Aluminiumblech gestanzt wurden: der Griff, der Steg und das Vorratsbehältnis. Auf teure Schrauben wurde bei der Fertigung verzichtet, der Vorratsbehälter wurde lediglich mit Falzen geformt, der Steg eingesteckt und der Griff angenietet.

 
Schütten über dem Topfschrank (Foto: Christina Treutelin)

Doch so praktisch uns die Schütten in der Rückschau erscheinen, sie erfuhren damals durchaus Kritik: Nach Beobachtungen und Untersuchungen in den Haushalten bemängelte die Reichsforschungsgesellschaft ein „zu starres Ordnungssystem für die Vorräte“ in der Frankfurter Küche. Zudem heißt es in dem Bericht von 1929: „Stichproben ergaben, daß in den meisten Haushaltungen nach kurzer Zeit nur noch ein Teil der Aluminium-Schütten den Aufschriften entsprechend gefüllt ist, außerdem wird fast niemals das volle Gebrauchsquantum für einzelne Vorräte (wie Paniermehl usw.) untergebracht. In den Schütten wurden mehrfach Papiertüten mit Vorräten beobachtet. Die zahlreichen 2-Pfund-Schütten für Kochgut (in den verschiedenen [Küchen-]Typen sind teils 18, teils 16, teils 12 Schütten vorhanden) bedeuten daher mangelhafte Ausnutzung des Raumes.“ Man riet, die Anzahl der Schütten auf sechs zu reduzieren. Außerdem beklagten die Hausfrauen, dass ihre kleinen Kinder die Schütten problemlos herausziehen und den Inhalt auf dem Boden verteilen konnten. Dieser Mangel wurde schon bald abgeschafft, indem man die Schütten über dem Topfschrank anordnete, wie beispielsweise in der ca. 1928 eingebauten Frankfurter Küche im mayhaus. Nicht zuletzt sah man in den oben offenen Schütten ein hygienisches Problem, welches dadurch verstärkt wurde, dass sich in den direkt an die Mauer grenzenden Schüttenfächern Schwitzwasser bildete, das auf den beim Kochen entstehenden Dunst zurückzuführen war. In den Haarer-Küchen beugte man dem vor, denn die Schütten-Schränke haben hier eine hölzerne Rückwand. In der Frankfurter Küche jedoch wurden die meisten Mängel wurden nicht mehr überarbeitet, denn mit dem Weggang von May und Schütte-Lihotzky in Richtung Sowjetunion im Jahr 1930 endete bald auch die Ära der berühmten ersten Einbauküche.
Text: Christina Treutlein