23.02.2016

Exponat des Monats März 2016

Ein Prototyp der Nachkriegsmoderne
Helbings blauer Stuhl


Gebogenes schwarzes Stahlrohr, blau lackiertes Holz, breites Becken, schmaler Rücken.Der blaue Stuhl des Kasseler Architekten Heinrich Helbing (1903 – 1973) ist ebenso einfach wie praktisch. Helbing entwarf den Stuhl 1960 für den geplanten Neubau der Staatlichen Werkkunstschule, am Rand der Kasseler Karlsaue.1962 wurden die neuen Gebäude bezogen. Die serielle Herstellung wurde von der Firma Thonet übernommen, die bereits seit den 20er Jahren Stahlrohrmöbel nach den Entwürfen berühmter Architekten wie Walter Gropius, Marcel Breuer und Ferdinand Kramer fertigte.

Helbing war von 1948 bis 1966 als Leiter der Abteilung “Raum und Möbelbau“ an der Staatlichen Werkkunstschule in Kassel tätig. Da in der alten Werkkunstschule, die noch in einer ehemaligen Kaserne untergebracht war, ein Sammelsurium von Stühlen bestand, wurde für den Neubau ein neuer Stuhlentwurf geplant. Das Gestell aus Stahlrohr, schwarz lackiert, wurde durch einen leicht gebogenen Sitz und eine Rückenlehne aus Buche ergänzt, die sich der Form des Körpers anpasst. Der Stuhl war auch mit weiß lackierter Sitz- und Rückenfläche erhältlich und als Schulstuhl ebenfalls ein beliebtes Möbel an anderen Schulen im Raum Kassel. Mittels des trapezförmigen Unterbaus und dem schmalen Rückenteil ließen sich die Stühle Helbings gut stapeln und waren aufgrund ihres geringen Gewichts für eine schnelle Bestuhlung bei Veranstaltungen gut geeignet.

Helbings Stuhl
auf dem Diskussionsforum „Kunst, Handwerk, Industrie“
in der Werkkunstschule, Kassel 1963

 

 

Heinrich Helbing war von 1927 bis 1930 als Mitarbeiter im Büro des Architekten Adolf Meyer ein Teil des Neuen Frankfurt. Er wirkte u. a. am Bau des Gaswerks Ost und des Funkhauses am Rebstockgelände mit. Bereits in den frühen 30er Jahren entwarf Helbing diverse Büromöbel aus Stahlrohr, die von der Schlosserei Cornelius in Kassel gefertigt wurden. Nach dem Weggang Ernst Mays in die UdSSR 1930 kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod tätig war.

Seit Oktober 2015 ist die ernst-may-gesellschaft dank der großzügigen Schenkung seines Sohnes Ulrich Helbing im Besitz eines Teilnachlasses des Architekten.

Text:  Elisa Lecointe