Im Jahr 1918 erhielten Frauen in Deutschland das Wahlrecht. Der daraufhin in den 1920er Jahren weiter in Fahrt kommende Feminismus rüttelte aber noch nicht am Rollenbild von Frauen und Männern.
Nach wie vor war die Frau für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig, während der Mann auswärts zur Arbeit ging. Obwohl der Neue Mensch propagiert wurde, herrschte in den Familien während der Zeit des Neuen Frankfurt diese traditionelle Aufgabenverteilung vor. Erst die Frauenbewegung in den 1970er Jahren räumte den Frauen mehr Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten im Lebensentwurf ein.
Puppenhaus von einer Familie, die über Jahrzehnte in einem May-Haus lebte
Foto: Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft e.V.
Wohlhabende Familien des Bürgertums schenkten seit Anfang des 19. Jahrhunderts ihren Töchtern Puppenstuben. Damit spielend übten schon die kleinen Mädchen gesellschaftliche Konventionen ein, wie die ordentliche Hausarbeit, das gute Benehmen und die angemessene Kleidung. Ende der 1920 Jahre waren die Puppenstuben nicht länger den Kindern wohlhabender Familien vorbehalten. Das Spiel mit den Miniaturwohnungen verbreitete sich in weiten Bevölkerungskreisen. Unter den Familien, die nicht so viel Geld zur Verfügung hatten, bauten oftmals die Eltern selbst ein Puppenhaus. Unser hier gezeigtes Exponat stammt von einer Familie, die in den 1930er Jahren in einer sogenannten May-Wohnung in Bornheim lebte. Mit viel Liebe zum Detail haben die Eltern eigenhändig eine Puppenstube geschaffen, die den Verhältnissen der eigenen Familie entsprach.
Bleistiftmarkierungen am Fenster zeigen, dass das Puppenhause handwerklich gefertigt wurde
Foto: Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft e.V.
Die Ausstattung der kleinen Wohnungen orientierte sich am Zeitgeschmack. Da die Puppenstube von Generation zu Generation weitergegeben und im Laufe der Jahre ergänzt wurde, finden sich hier auch deutlich jüngere Ausstattungsdetails, beispielsweise die 70er-Jahre-Küche. Eine von der Frankfurter Küche inspirierte Puppenstube ist übrigens im Hessischen Puppen- und Spielzeugmuseum in Hanau ausgestellt.
Die Puppenhaus-Küche im Stil der 1970er Jahre
Foto: Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft e.V.
Aus Sicht der von Maria Montessori beeinflussten Reformpädagogen im Neuen Frankfurt wäre die Puppenstube wohl ein eher ungeeignetes Spielzeug für Kinder gewesen, denn die Miniaturwohnung bildet die Realität der Erwachsenen ab und hat daher wenig gemeinsam mit der Erlebniswelt eines Kindes. Ein Kind, so die Pädagogen, hat noch eine ganz andere Sicht auf die Welt als die Erwachsenen. Um die eigene Sicht auf die Welt auszudrücken und Erlebnisse zu verarbeiten, sollte dem Kind besser Werkzeug und Material wie Stifte, Schere, Kleber, Papier, Wolle, Holz oder Knete zum Spielen angeboten werden, mit dem es sein eigenes Erleben darstellen kann. Zugleich weckt diese Art von Spiel die natürliche Entwicklung des Kindes und fördert dessen Kreativität und motorische Entwicklung viel stärker als das Vorsetzen von fertigem Spielzeug wie einer Puppenstube.
Der Wohnraum
Foto: Christina Treutlein, ernst-may-gesellschaft e.V.
Text: Christina Treutlein