Viele für das Neue Frankfurt tätige Architekten waren nicht nur Baumeister, sondern auch Designer. Sie bezeichneten diese Tätigkeit jedoch nicht als Design, sondern subsummierten sie unter dem viel weiter fassenden Terminus „Gestaltung“. Dies entsprach auch dem tiefgreifenden Anspruch des Neuen Frankfurt, der weit über den Häuser- und Siedlungsbau hinausging und auf eine moderne ästhetische Durchformung der Mainmetropole abzielte.
Türbeschläge Gestalter: Ferdinand Kramer |
Auf diesem Gebiet leisteten die in der Abteilung Typisierung des Siedlungsamtes angestellten Architekten Pionierarbeit. Sie entwarfen Blaupausen für die Utensilien, die der Neue Mensch als dem Projekt äquivalenter Bewohner nutzen sollte. Einige dieser Designer besitzen bis heute Prominenz, unter ihnen Ferdinand Kramer (1898-1985). Der gebürtige Frankfurter wurde von Ernst May eher zufällig entdeckt, als nämlich der Stadtbaurat die avantgardistische Inneneinrichtung eines Frankfurter Reisebüros bewunderte, das nach Kramers Vorstellungen eingerichtet worden war.
Am Siedlungsamt entwarf er Möbel und Einrichtungsgegenstände für die Bauten und Siedlungen des Neuen Frankfurt. Dabei zielte er stets darauf ab, möglichst funktionale und preisgünstige Entwürfe zu liefern, die sich typisiert herstellen ließen. Dies sollte gewährleisten, dass sie breiten Schichten der Bevölkerung zugänglich waren. In den Siedlungen waren Kramers Produkte bald in aller Hände: nach seinem Entwurf wurden in großem Stil schlichte Türdrücker, Fensterklinken und Beschläge gefertigt. Trotz ihres nüchternen Anspruchs weisen sie eine geradezu zeitlose Eleganz auf.
Kramer entpuppte sich im Laufe seiner Tätigkeit als ehrgeiziger Tüftler: Viele seiner Entwürfe haben den Anspruch der Multifunktionalität. Ein Hocker darf also nicht nur ein Hocker, er muss in wenigen Handgriffen auch zu Tisch oder Bücherbord umfunktionierbar sein. Dabei zeigt Kramers Design immer auch ein Streben nach sozialer Gerechtigkeit: Der Kramer-Volksofen etwa sollte als Allesbrenner für einen geringen Preis breiten Schichten der Bevölkerung Wärme spenden. Ein ähnlicher Gedanke steckt auch hinter der von Kramer entworfenen Sitzbadewanne im Kleinstbad. So konnte man auf begrenztem Raum leben, ohne auf den Komfort einer Badewanne verzichten zu müssen. Als Architekt war Kramer maßgeblich an den Laubenganghäusern der Siedlung Westhausen beteiligt, welche Wohnungen für das Existenzminimum bieten sollte.
Kramers Formgebung war stets nüchtern und sachlich. Historistische Schnörkel, welche einer maschinellen Herstellung auf der einen und einer einfachen Reinigung auf der anderen Seite im Wege standen, lehnte er prinzipiell als unzeitgemäß ab. Er ließ sich dabei von Adolf Loos inspirieren, mit dem er persönlich bekannt war. 1929 setzt er sich maßgeblich dafür ein, dass Loos‘ für den Funktionalismus wegweisende Schrift „Ornament und Verbrechen“ auch in Deutschland publiziert wurde.
Qualitätsbeschläge, Produktblatt der Firma Ernst Schönau
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Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen begleitete Ferdinand Kramer Ernst May in den 1930er Jahren nicht in die UdSSR. Er blieb zunächst im Deutschen Reich, wo er aber wegen seiner Arbeit und seiner jüdischen Ehefrau von den neuen Machthabern massiv attackiert und schließlich als „entartet“ diffamiert wurde. 1938 emigrierte er in die Vereinigten Staaten, wo er bis 1952 als Zeichner, Designer und Architekt tätig war.
Vielen Frankfurtern ist Kramer besonders durch sein Spätwerk bekannt. So war er in den Jahren 1952 bis 1964 Baudirektor der Goethe-Universität. Im Zuge dessen prägte er das bauliche Antlitz des Campus Bockenheim und die Einrichtung der Universitätsbauten maßgeblich, viele der Bauten stehen heute unter Denkmalschutz.
1984 starb Ferdinand Kramer in Frankfurt am Main. Sein Design vermag aber bis heute zu begeistern, erst jüngst wurde von e15 eine „Ferdinand-Kramer-Edition“ präsentiert, welche diverse seiner Entwürfe neu auflegte. Und auch die Türdrücker werden in aller Hände bleiben: seit 1992 werden sie wieder produziert.