01.08.2013

Exponat des Monats September 2013

Arzberg 1382 – Neue Sachlichkeit für den Haushalt


Mit Arzberg 1382 gelang Hermann Gretsch (1895 – 1950) "der Porzellanentwurf des zwanzigsten Jahrhunderts", so die Kritiker.

Es war sein erster Entwurf für die Porzellanfabrik Arzberg, mit der er fortan bis zu seinem frühen Tod zusammenarbeitete und deren gesamte weitere Geschichte er wesentlich beeinflusste.

Den Anspruch, den er mit seinen Entwürfen verfolgte, formulierte Gretsch selbst 1936 folgendermaßen: "Wir können es uns in Zukunft nicht mehr leisten, Dinge auf den Markt zu bringen, die dem Verbraucher schon nach kurzer Zeit keine Freude mehr machen, weil sie unpraktisch, überholt und unmodern sind."2 Genau das war aber die Praxis der Zeit. Um 1930 produzierte Arzberg, wie andere Porzellanfabriken auch, billige Kaffee- und Teeservice, die Formen vergangener Epochen mehr oder weniger gelungen imitierten. Mit der Industrialisierung war Porzellan zur billigen Massenware geworden und in allen Bevölkerungsschichten für den täglichen Gebrauch angekommen. Der Zeitgeschmack verlangte nach immer neuen Formen und Dekoren, den die Hersteller kaum mehr befriedigen konnten und der vor allem zu Lasten der Qualität ging (Ausnahmen bildeten die auch in dieser Zeit hergestellten, aber in wesentlich geringeren Mengen produzierten und sehr viel teureren, anspruchsvollen Porzellane traditionsreicher Manufakturen). Die einflussreichsten Reaktionen auf den allgegenwärtigen Verfall der Qualität im Zuge der Massenproduktion waren die Gründung des Deutschen Werkbundes 1907 und die des Bauhauses 1919. Zur Änderung der Situation forderten die Vertreter der Neuen Sachlichkeit eine technisch, gleichzeitig aber auch ästhetisch hochwertige Qualitätsproduktion.

Im Bereich der Porzellane war Gretsch nicht der "Formerfinder" des schlichten Massengeschirrs, auch die Entwürfe anderer Designer wurden erfolgreich verkauft. Doch keiner dieser Entwürfe reicht an die nachhaltige Wirkung der Form Arzberg 1382 von Hermann Gretsch. Das Service wird bis heute ohne Unterbrechung verkauft - kein anderes Porzellangeschirr deutscher Industrie kann einen Erfolg über einen so langen Zeitraum aufweisen.

 In seinem Werdegang hatte sich Hermann Gretsch bereits sowohl mit Handwerk und Design sowie den betriebswirtschaftlichen Aspekten der keramischen Gebrauchsgüterindustrie befasst. Nachdem er 1922 zunächst ein Architekturstudium an der TH Stuttgart abgeschlossen hatte, legte er 1923 die Gesellenprüfung als Keramiker an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule ab. 1928 promovierte er dann über Fayencen zum Dr.-Ing. Vom damaligen Direktor der der Arzberger Porzellanfabrik aufgefordert, ihm ein gutes, zweckdienliches Geschirr zu entwerfen, legte Gretsch im Herbst 1930 seinen Entwurf vor. Der vom Vorstand mit großer Spannung erwartete Vorschlag war jedoch ein Schock für alle: zu sehen waren Formen, die einzig und allein auf ihren Zweck begrenzt waren. Keinerlei schmückender Zierrat. Alle bisherigen Verkaufsargumente waren für dieses Service hinfällig. Und doch: "Die Geschlossenheit und Klarheit der Linienführung und die harmonische Abstimmung der einzelnen Stücke zueinander, dazu die unverkennbaren praktischen Gebrauchswerte, all das war so überzeugend, dass es für uns kein Ausweichen mehr gab", so Emil Geißenhöner, Vorstandsmitglied der Arzberger Fabrik, der Gretschs Entwurf innerbetrieblich durchsetzte, in einer Rede 1966.3 Die Umsetzung und Einführung von Arzberg 1382 war 1931 ein Neubeginn, dessen finanzielles Geschäftsrisiko man - noch dazu mitten in der Wirtschaftskrise - gar nicht hoch genug einschätzen kann. Nach den vermuteten Anfangsschwierigkeiten konnten dann ab 1935 die ersten Gewinne erzielt werden. Darüber hinaus wurde die Form international ausgezeichnet: 1936 erhielt sie eine Goldmedaille der VI. Trienale in Mailand, eine weitere bei der Pariser Weltausstellung 1937.

Die Zusammenarbeit zwischen der Porzellanfabrik Arzberg und Gretsch beschränkte sich nicht nur auf diesen einen Entwurf. Ab 1931 bis zu seinem Tod war Gretsch künstlerischer Berater und Mitarbeiter der Fabrik. Während dieser Zusammenarbeit entwarf er das gesamte Firmensortiment und reformierte die Designpolitik des Konzerns grundlegend. Von Anfang an widmete er sich nicht nur dem Entwerfen, sondern auch der Präsentation und dem Verkauf. So verfasste er Werbematerial und ließ Musterzimmer einrichten. Trotz vieler weiterer, erfolgreicher Entwürfe für Arzberg, aber auch anderer namhafter Unternehmen der Verkaufsgüterindustrie, beschäftigte ihn 1382 bis zu seinem Tod 1950. Auch wenn die Form selbst in all den Jahren unverändert blieb, gab es doch Änderungen in Dekor und dem Sortiment. Das Porzellan im Besitz der ernst-may-gesellschaft zeigt den Dekor 4884: Rotrand/Rotband von 1931, einen der ersten und beliebtesten. Bis heute wurden über 840 Dekore in allen denkbaren Techniken auf 1382 produziert. Außerdem wurde das Service im Laufe der Zeit um weitere Teile ergänzt, einige davon entwickelte Gretsch ausschließlich für den amerikanischen Markt. Diese Erweiterungen konnte man ganz einfach zukaufen. Womit ein weitere herausragende Neuerung angesprochen wird: Gretsch war der Erfinder des "Sammelgeschirrs". Ein Konzept, das aus der heutigen Zeit nicht wegzudenken ist, damals jedoch eine soziale Innovation darstellte. Bis dahin konnte man nur vollständige Services erwerben. Gretsch ermöglichte mit Arzberg 1382 erstmals, Einzelteile nach Bedarf und finanziellen Möglichkeiten nachzukaufen.

1950 starb Hermann Gretsch mit nur 55 Jahren völlig unerwartet an den Spätfolgen eines Unfalls und hinterließ eine große Lücke in der Arzberger Fabrik, dessen Linie der Nachkriegszeit hauptsächlich auf der gestalterischen Arbeit ihres Pioniers beruhte. Mit Heinrich Löffelhardt fanden sie jedoch einen Nachfolger, der Gretschs Erbe mit den richtigen Impulsen weiterführte und vorantrieb. Bis heute, angepasst an die jeweiligen Gebrauchsgewohnheiten, erfüllt Arzberg 1382 die Erwartungen der Konsumenten nach einem funktionalem, soliden und formschönen Porzellan für den täglichen Gebrauch.

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1 Morris, Tim: Exkurs: Die „gute form“ als Geschäftsprinzip: Dr. Hermann Gretsch und seine Zusammenarbeit mit der Porzellanfabrik Arz-berg. In: Burschel, Carlo (Hrsg.): Heinrich Löffelhardt. Industrieformen der 1950er bis 1960er Jahre aus Porzellan und Glas. Bremen 2004. S. 75.
2 Zitiert in: Morris, Tim: Hermann Gretsch - 75 Jahre Arzberg 1382. Die gute Form für jeden Tag. [Katalog zur gleichnamigen Ausstel-lung]. Schirnding 2006. S. 9.
3 Zitiert in: Ebd, S. 14. 

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 Juliane Geißler, August 2013